Osch (Kirgistan). Da wo eigentlich mein Fahrzeugschein für die Transalp stecken sollte, herrscht gähnende Leere. Schlecht – vor allem dann, wenn einem gerade ein usbekischer Grenzer gegenüber steht der fordernd die Hand ausstreckt. Als ich meinen Formalitätenmarathon begonnen habe war der Schein auf jeden Fall noch da; nur wo ist er jetzt?

Ich suche den staubigen Grenzposten Zentimeter für Zentimeter ab und sogar die Drogenspürhunde scheinen Mitleid mit mir zu haben. Nach zwei Stunden taucht der Lappen unter einem Tisch wieder auf und zwar genau da, wo ich schon zweimal nachgefragt hatte. Egal, Hauptsache mein „motorcycle passport“ ist wieder da. Bei drei Grenzen über die ich noch bis in die Mongolei muss, wäre es kein Spaß gewesen den Zöllnern jedes Mal zu erklären warum ich nur mit einer Kopie unterwegs bin.

Das Lange muss auf das Runde... und dann auch noch irgendwie zusammen

Auf kirgisischer Seite geht dafür alles unkompliziert und ganz ohne Koffer und Taschen öffnen. Ich bekomme einen Kindergärtner an die Seite der mich durch die Buden lotst und beim Ausfüllen der Formulare hilft. Nachdem ich etwa 8 Euro für eine „Ökosteuer“ (für die es eine Quittung gibt) entrichtet habe, öffnet sich das Grenzgatter und ich rolle in das neunte Land dieser Motorradreise. In der Werkstatt von Muztoo, einem Schweizer Tourveranstalter für Zentralasien, kann ich den längst überfälligen Ölwechsel erledigen. Zudem ist meine Kette kurz vor ihrem Ende und hat dies auf den letzten Kilometern schon durch starkes Seitenspiel und lautes Schleifen kundgetan.

TechniktippMuzToo

Der Schweizer Spezialist für Motorradtouren in Zentralasien hat in Osch eine Werkstatt eingerichtet.  Man kann dort wahlweise selber schrauben oder einen Mechaniker in Anspruch nehmen.

Koordinaten: 40° 30′ 11.88″N 72° 49′ 55.62″E – Internet: www.muztoo.ch

Glücklicherweise findet sich noch eine gebrauchte Kette die Kolja, der Mechaniker von MuzToo, zurecht zaubert. Für die letzten Kilometer, es sind netto plötzlich nur noch 6.000, wird es reichen.

Unglaublich was hier dauernd an Fleischlieferanten (Kühe, Pferde, Schafe, Ziegen) über die Straßen getrieben wird. Wer soll das alles essen?

Von Osch (Osh) aus fahre ich entgegen meiner eigentlichen Fahrtrichtung zuerst nach Süden. Der Pik Lenin, mit 7134 Metern einer der höchsten Berge im Pamir, ist mein Ziel. Nicht das ich auf den Brecher hinauf will, es reicht mir an seinem Fuß eine Nacht zu verbringen. Auf dem Weg dorthin passiere ich den Taldyk Pass, der mit seinen Scheitel auf 3.615 Metern meine bisherigen Passhöhen ganz locker überbietet.

Ab 3.000 Höhenmetern verliert die Transalp spürbar an Leistung, was ganz praktisch für Rundblicke ist. Was Usbekistan an Kultur hat, ersetzt Kirgistan durch Natur. Die Farbspiele durch die verschiedenen Gesteinsschichten, grünen Auen und den blauen Himmel wirken schon fast hypnotisierend und ich muß aufpassen um nicht von der Straße abzukommen.

Kirgistan

Etwa 30 Kilometer westlich von Sarytasch (Sary-Tash) biege ich am späten Nachmittag vom hier asphaltieren Pamir Highway ab und folge für einige Kilometer einem Singletrack Richtung Pik Lenin. Bei recht angenehmen Temperaturen baue ich mein Zelt in einer wind- und blickgeschützten Ecke auf. Ich bin ganz allein, nur eine Pferdeherde beäugt mich misstrauisch aus der Ferne.

Mit Einbruch der Dunkelheit wird es in meinem Basislager auf 3.100 Metern recht frisch. Am Morgen sind Motorrad und Zelt von Raureif bedeckt und ich habe mich unter sämtlichem Stoff vergraben den ich finden konnte. Die warmen Strahlen der Morgensonne und die Aussicht auf einen heißen Tee locken mich jedoch aus meinem Nest und ich bekomme dafür den Pik Lenin (fast) ohne Wolken zu sehen. [Text und Fotos: Stefan Thiel @ www.stefan-thiel.info]