Im Ranking der Küchentischschrauber und Hinterhofbastler dürfte das Wheels and Waves in Biarritz wohl Kult schlechthin sein. Der Prototyp aller Custom Culture Veranstaltungen versammelte 2012 eine Handvoll Leute in der südwestlichsten Ecke Frankreichs. Musik, surfen, skaten und natürlich mit dem handgedengelten Motorrad cruisen – ein Wochenende lang ging es an der Atlantikküste nur um Individualität und Lifestyle. Das Konzept fand in der damals noch jungen Szene regen Anklang und seither wächst das Festival ungebremst. Nach Ablegern in Japan und Kalifornien wurde das Wheels and Waves in diesem Jahr erstmalig nach Italien exportiert.
Anfang Oktober wurde in der Toskana, unweit der Marmorsteinbrüche von Carrara, der Karohemden- und Vollbartalarm ausgerufen. Im beschaulichen Küstenstädtchen Lido di Camiore, das gerade mal halb soweit von Deutschland entfernt liegt wie das Original, fanden sich neben einem ordentlichen Spätsommer auch zahlreiche Besucher ein, um über das Wochenende Motorrad zu zelebrieren. Zwar mit einem verkleinerten Programm und mit wesentlich weniger Zuschauern als in Frankreich, aber genau soviel Savoir-vivre. Großer Vorteil in der Heimat von Pizza und Parmesan: Während die Brennpunkte in Biarritz sich im weiten Umland verteilen, wurde der Benzinpegel beim Sehen und Gesehen werden in Lido di Camaiore nicht all zu weit Richtung Reserve getrieben.
Herz der Veranstaltung war das zentral gelegene Wheels and Wave Village im Park Bussoladomani. Bühne, Händler- und Herstellerstände, hippes Streetfood. Die Unterschiede zu einer traditionellen Motorradveranstaltung waren auf den ersten Blick nicht groß, wenn man über die ständig bespielte Skaterrampe und Surfshops hinwegsah. Interessant wurde es bei den Motorrädern, die – Noblesse obligee – nur nach vorheriger schriftlicher Anmeldung und Genehmigung auf das Gelände durften. Starrahmenfossile neben Papas oller Pendlergurke, Radikalumbauten Seite an Seite mit liebevoll restarierten Old- und Youngtimer. Wer auf der Suche nach Inspiration für das eigene Garagenprojekt war, fand hier reichlich Anschaungsmaterial.
Zusätzlich zur Flaniermeile wurden verschiedene Veranstaltungen angeboten, die dem ganzen Schwermetal auch einen artgerechten Auslauf ermöglichten. Beim Vintage Rally Enduro durften die Zweiräder mit den längeren Federwegen ran. Technisch nicht allzu kompliziert vermittelte die Cross-Strecke auf einer Brache aber schnell den Grundgedanken des gesamten Events. Spaß und keine sportlichen Höchstleistungen waren angesagt. So erfolgte die Zeitnahme über handelsübliche, vom Starter selbst betätigte, Haushaltswecker. Schlechte Runde? Egal, einfach nochmal hinten an der Schlange anstellen.
Mit Staub schlucken ging es auf dem Flattrack-Oval El Rollo gleich weiter. Trotz aller Back to the Roots Mentalität war hier mit einer E-Motorrad Klasse ein Stück Neuzeit am Start. Dem Unterhaltungswert nicht weniger abträglich als die Verbrenner, wenn man sich damit abgefunden hatte, dass die allgegenwärtigen Kameradrohnen mehr Krach produzierten als die Voltschleudern. Highlight und Abschluss der Festivitäten markierte das Strandrennen Race of the Lords. Es versteht sich von selbst, dass praktisch keiner der Teilnehmer Stollen aufgezogen hatte. Warum auch. Straßenreifen gehen doch irgendwie und alles andere wäre sowieso nur uncooler Mainstream. [Text und Fotos: Stefan Thiel @ www.stefan-thiel.info]