Retroliebe hin oder her, aber warum müssen Moped-Veranstaltungen eigentlich immer zu Uhrzeiten starten, an denen man auf Parties üblicherweise das letzte Glas abstellt? Wer sich Ende Juni im beschaulichen Münchweier, unweit von Freiburg, zusammen mit den ersten Sonnenstrahlen auf einen Streifzug durch das Fahrerlager des Schwarzwald Moped Marathons begab, konnte zumindest einen Teil dieser Frage beantworten.

Kreidler, Simson, Herkules – alles, was einem in der eigenen Jugend die Tränen der Freude und Begierde in die Augen getrieben hatte, wartete hier auf den Einsatz. Mit Hubraum im Schnapsglasformat und PS im einstelligen Bereich dauert es eben ein bisschen länger, um irgendwo anzukommen. Insbesondere dann, wenn 220 Kilometer Strecke mit 3.000 Höhenmetern im Roadbook stehen. Um zumindest die Startschwierigkeiten der Leichtkraftrad-Piloten zu kontern, hatte der Veranstalter in Kooperation mit örtlichen Vereinen ein ordentliches Frühstück aufgefahren. Viel Zeit blieb dafür allerdings nicht. Pünktlich um 6 Uhr wurde der anregende Kaffeeduft durch motivierenden 2-Takt-Nebel ersetzt, als sich die erste Welle der insgesamt 750 Starter in Bewegung setzte. Das Starterfeld selbst war bunt gemischt:Alt und Jung, zotteliger Biker-Bär neben gestriegelten Consultant oder in den Achtzigern hängengebliebener Modern Talking-Veteran: Die Bandbreite war genauso groß wie die Liebe zum heiligen Blechle.

Schwarzwald Moped Marathon 2022

Die familiäre Atmosphäre des mit viel Herzblut gemachten Schwarzwald Moped Marathons hat sich in der Zwischenzeit auch international herumgesprochen. Längst nehmen Niederländer, Franzosen, Schweizer und Österreicher die weite Anfahrt auf sich, um entschleunigt durch den Schwarzwald zu flanken. Die weiteteste Anreise konnten dieses Jahr unangefochten die Esten Aimar, Ilmar, Heiki, Rauno und Tiit verbuchen. Der Ostfünfer hatte sich ab Polen mit über 1.000 Kilometern bereits ordentlich auf ihren Mopeds eingefahren.

Für die Streckenführung hatte Mitorganisator Andreas Kollofrath, Inhaber des Tourenfahrer Partnerhauses Rebstock in Münchweier, tief in seine Ausfahrten-Schatzkiste gegriffen. Zur Einstimmung ging es auf einer Schleife durch die sanft wogenden Weinberge des Kaiserstuhls. Danach wurde es aber schnell ernst für die Fünfziger-Horde. Auf kleinen Nebenstraßen mäanderte die weitere Strecke durch den südlichen und mittleren Schwarzwald und erforderte bei dem ein oder anderen Niedrig-PS-Untersatz den beherzten Einsatz von Muskelkraft oder Pedalen. Aber wenn langsam Trumpf ist, hat man auch mehr Zeit die Umgebung zu genießen.

Schwarzwald Moped Marathon 2022

Und zu sehen gab es einiges. Urige Fachwerkdörfer, lange Waldpassagen nebst Sehenswürdigkeiten wie der Hexenlochmühle oder Burg Landeck belohnten die 2-Takt-Recken für jeden erkämpften Kilometer. Bei soviel optischen Input hätte es die mahnenden Worte aus dem Reglement gar nicht gebraucht: „Kein Eile – nicht die schnellste Zeit gewinnt, sondern der Mittelwert von allen!“. Das nahmen sich viele Teilnehmer zu Herzen und so kam es an markanten Punkten oder schönen Streckenabschnitten immer wieder zu spontanen Gruppenbildungen. Selfie vor üppig grünen Weinbergen oder entspannte Fachsimpelei beim Eisbecher? Ging alles und nachdem der ausdauernde Regen des Vorabends den Platz für bestes Kaiserwetter geräumt hatte, auch ohne störende Regenkombi. Spätestens an den beiden Kontrollpunkten traf man sich wieder und konnte dort entschleunigt zweites Frühstück und Mittagessen genießen.

Schwarzwald Moped Marathon 2022

Etwa zehn Stunden Fahrtzeit brauchten die meisten Mopedhelden, um das Langstreckenspektakel erfolgreich abzuschließen. Aber auch für die Teilnehmer deren betagte Vehikel unterwegs schlapp gemacht hatten, war gesorgt. Ein Besenwagen sammelte auf Anruf die Pechvögel auf und lieferte sie wohlbehalten am Start- und Zielpunkt bei der Winzergenossenschaft in Münchweier ab. Auch wenn im Ziel der ein oder andere vorsichtige Griff an das untere Ende des eigenen Rückens den einzigen Verlierer des Tages markierte – die nächste Runde Retroliebe wird sich kaum einer entgehen lassen. Egal wie früh es wird oder wie weh der Hintern danach tut. [Text und Fotos: Stefan Thiel @ www.stefan-thiel.info]